#Theater setzt Themen

Stadttheater Aschaffenburg

gemEinsam

Die Songschreiberin und Produzentin der Band „Laing“, Nicola Rost, trifft mit ihrem 2021 erschienenen Song „Ministerium für Einsamkeit“ den Nerv der Zeit. Das Gefühl der Einsamkeit ist in den letzten Jahren, vor allem bedingt durch die Corona-Pandemie, mitten in unserer Gesellschaft angekommen. Fühlten sich 2017 noch 14 Prozent der Deutschen regelmäßig einsam, kletterte dieser Wert im Jahr 2021 auf 42 Prozent. Betroffene lassen sich mittlerweile in allen Altersstufen und sozialen Schichten finden, jedoch sind die Zahlen bei jungen Erwachsenen und sehr alten Menschen am höchsten. Einsamkeit ist allerdings nicht nur ein subjektives Empfinden: Einsamkeit macht krank, dies belegen medizinische Forschungen. Die Psychologin Prof. Maike Luhmann, die an der Ruhr-Universität Bochum schwerpunktmäßig zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung, Lebenszufriedenheit und Einsamkeit forscht, stellt fest: „Einsamkeit tut weh. Bei chronischer Einsamkeit werden im Gehirn dieselben Areale aktiviert wie bei Schmerz.“ Darüber hinaus haben Betroffene ein gesteigertes Risiko an Depressionen, koronaren Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder Herzinfarkten zu erkranken.

Inmitten von Millionen
Oder auf dem Land
In meiner Familie
Manchmal an Deiner Hand
Fühl ich mich unsichtbar
Nur der Nachbarshund nimmt mich wahr
Nachts brennt Licht in meinem Fenster
Blaues Flimmern gegen meine Gespenster

Nicola Rost

Aufgerüttelt durch diese Tatsachen, erarbeitete das Bundesfamilienministerium 2022 eine „Strategie gegen Einsamkeit“, die zahlreiche Modellprojekte, wie beispielsweise Hilfetelefone oder Mehrgenerationenhäuser, im Kampf gegen die Einsamkeit unterstützt. Ebenso wichtig ist es aber, überhaupt auf diese Thematik hinzuweisen, denn für viele, vor allem junge Erwachsene, ist es ein Tabu, sich die eigene Einsamkeit einzugestehen. Hierzu heißt es in Rosts Lied „Oh, nicht alle lieben | Samstag und Sonntag | Ich sag immer, ich freu mich drauf | Und hoffe leise, es fällt aus.“ Und wer gibt schon gerne zu, dass er einsam ist, obwohl er vielleicht Hunderte oder Tausende Follower auf Social Media hat? Da wahrt man lieber den schönen Schein und leidet still und leise vor sich hin.

Genau an diesem Punkt möchten wir mit unserem Format „Theater setzt Themen“ ansetzen. Auch in der Spielzeit 2023/2024 widmen wir uns einer gesellschaftsrelevanten Fragestellung, die unter anderem anhand ihrer dramaturgischen Umsetzung erörtert wird. Begleitende Veranstaltungen und Vorträge verschiedener Disziplinen in Kooperation mit Institutionen und Initiativen aus der Region runden die Reihe ab.

Wie unschwer zu erkennen ist, wollen wir in dieser Saison zum Erkennen und Überwinden der Einsamkeit in unserem eigenen Umfeld beitragen. Unser Leitmotiv lautet: „gemEinsam“, gemeinsam gegen Einsamkeit. Als roter Faden zieht sich die Thematik durch das Programm, indem die eingeladenen Produktionen tiefgründig darauf hinweisen, wie facettenreich Einsamkeit sein kann, aber auch Lösungsansätze liefern, was wir als Gesellschaft gegen diesen Zustand tun können.

Eines unserer diesjährigen Highlights, Oliver Reeses (Berliner Ensemble) Inszenierung der Autobiografie „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre, setzt sich ebenfalls mit diesem Thema auseinander. Der nach seinem Debüt „Soloalbum“ 1998 als Popstar der neuen deutschen Pop-Literatur gefeierte von Stuckrad-Barre erlebte einen Absturz par excellence, inklusive Essstörung, Kokainsucht und Alkoholproblem. Wie er diese Phase seines Lebens überstand, können Sie am 9. und 10. Februar 2024 jeweils um 19:30 Uhr sowie am 11. Februar 2024 um 18 Uhr im Stadttheater erleben. So viel sei verraten: Udo Lindenberg hat ihn geheilt (so der Titel einer Rezension des Buches, die 2016 in der Stuttgarter Zeitung erschien).

Auch Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie „Der Besuch der alten Dame“ zeigt, was eine Gemeinschaft erreichen kann, wenn sie nur zusammenhält. Bei uns sehen Sie eine Produktion des renommierten Schauspiel Leipzig (Regie Nuran David Calis). Ob es allerdings tatsächlich so positiv zu bewerten ist, dass der Zusammenhalt in der Käuflichkeit des Menschen begründet liegt und das Hauptmotiv der Protagonistin Claire Zachanassian schlicht und ergreifend Rache ist, dürfen Sie am 10. und 11. November 2023 jeweils um 19:30 Uhr gern selbst entscheiden…

Darüber hinaus wollen wir in der Saison 2023/2024 Platz für Kooperationen schaffen, die auf den ersten Blick vermutlich unkonventionell anmuten: wäre Ihnen aus dem Stegreif die Kombination von Tuba und Harfe in den Sinn gekommen, wenn Sie an unsere beliebten Schönbusch-Serenaden denken? Den Beweis, dass diese beiden Instrumente erstaunlich gut miteinander harmonieren, treten am 8. Juni 2024 um 19:30 Uhr Andreas Martin Hofmeir und Andreas Mildner an. Im Bereich Tanztheater gibt es gleich zwei Stücke, die spartenübergreifend arbeiten: Die Compagnie Dessources stellt mit „Double“ am 3. Mai 2024 um 20:00 Uhr die Kombination aus Gesang, Tanz und Gitarre in Mittelpunkt, wohingegen „DIS:JUNCTION“ am 14. Juni 2024 um 20:00 Uhr zwei Tänzerinnen mit zwei Percussionistinnen vereint.

Natürlich soll Gemeinschaft nicht nur AUF, sondern auch VOR der Bühne erlebt werden – von Ihnen, liebe Besucherinnen und Besucher. Zu vielen Veranstaltungen bieten wir Einführungsvorträge an, dies können Sie auf unserer Homepage abfragen. Wir öffnen das Haus immer 60 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Nutzen Sie die Gelegenheit, sich mit anderen Kulturinteressierten auszutauschen oder fragen Sie in Ihrem Bekanntenkreis, ob jemand Sie zu einer Veranstaltung begleiten möchte.

Wer weiß, wessen Einsamkeit Sie durch eine solch kleine Geste vielleicht lindern können…