Transformation
Und die Menschen sehnen sich immer nach etwas Neuem.
Erneuerung ist unvermeidlich.
Und mit 50, naja, hört es auf.
Harvey (The Substance)
Mit diesen Worten wird die Moderatorin der Aerobic-Sendung „Sparkle your Life“, Elisabeth Sparkle, verkörpert von Demi Moore in dem Body-Horror-Film „The Substance“ von Coralie Fargeat aus dem Jahr 2024, am Tag ihres 50. Geburtstags entlassen. Einst gefeierter Star mit eigenem Stern auf dem berühmten Walk of Fame, muss die ehemalige Tänzerin nun damit klarkommen, unfreiwillig auf dem Abstellgleis gelandet zu sein. Rettung verspricht eine dem Film seinen Titel gebende Substanz, die, nachdem injiziert, dafür sorgt, dass Sparkle sich in zwei Versionen ihrer selbst aufspaltet: die nach wie vor alternde Elisabeth und ihr junges, vermeintlich perfektes Alter Ego Sue. Damit dieses Experiment auf Dauer funktionieren kann, gibt es eine Regel, die unter allen Umständen eingehalten werden muss: Nur jeweils eine der beiden Frauen darf für je sieben Tage aktiv am Leben teilhaben, während die andere in einer Art Ohnmacht verharrt. Allerdings gefällt Sue ihr Dasein als aufstrebendes Starlet etwas zu gut, weswegen sie überhaupt nicht einsieht, alle sieben Tage für eine Woche aus dem Verkehr gezogen zu werden. Die Folge ist, dass das Gleichgewicht zwischen Elisabeth und Sue vollkommen aus dem Ruder läuft, was katastrophale Folgen mit sich bringt…
Die Regisseurin Coralie Fargeat treibt in ihrem Oscar prämierten Film eine Entwicklung auf die Spitze, die in den letzten Jahren bizarre Züge angenommen hat: die Fixierung auf den perfekten, jungen und natürlich schlanken Körper. Die Body Positivity Bewegung scheint zu verstummen, während „Skinny Tok“ boomt; Influencerinnen, die Schlankheitstipps zum Besten geben und ganz nebenbei propagieren, den Wert eines Menschen an seinem Äußeren festzumachen. So stellt Elin Wagner von der Beratungsstelle für Essstörungen Waage e.V. in Hamburg fest: „Dünnsein wird zum ultimativen Schönheitsideal – verpackt in einen gesunden Lebensstil. Dünnsein wird mit Gesundheit gleichgesetzt. Mehrgewicht gilt per se als ungesund und wird mit undisziplinierten Charaktereigenschaften in Verbindung gebracht.“ In die gleiche Richtung geht ein weiterer bedenklicher Trend, der sich ebenfalls in den sozialen Medien beobachten lässt: kleine Mädchen, kaum älter als acht oder neun Jahre, filmen sich bei ihrer täglichen Hautpflegeroutine mit Anti-Aging-Produkten.
Neben dem jungen und schlanken spielt auch der athletische Körper eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, und auch hier gibt es Entwicklungen, die letztlich nichts anderes als menschenverachtend sind und Sportler als Wettkampfmaschinen unter maximaler Gewinnabschöpfung betrachten. So sollen beispielsweise im Mai 2026 in Las Vegas die „Enhanced Games“ zum ersten Mal stattfinden, Spiele, die den olympischen Gedanken ad absurdum führen, weil Doping explizit erlaubt ist – als „ultimative Demonstration dessen, wozu der menschliche Körper fähig ist“.
Aber egal ob „Skinny Tok“, minderjährige Nutzerinnen von Antifaltencremes oder Doping-Spiele, all dies ist auf eine Angst zurückzuführen – die Angst vor dem umfangreichsten Transformationsprozess, dem sich ein Mensch im Laufe seines Lebens unterzieht: dem Altern. Dies ist der Ausgangspunkt der diesjährigen Umsetzung unseres Formats „Theater setzt Themen“. Natürlich fokussieren wir uns nicht auf das Thema Altern allein, nein, im Mittelpunkt der Saison 2025/2026 stehen sämtliche Facetten der menschlichen Transformation: körperlich, mental, freiwillig und unfreiwillig.
Sie sehen, das Thema ist vielgestaltig und verspricht Sparten übergreifende Umsetzungen, die den Komplex aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten. Begleitende Veranstaltungen, Vorträge und Gespräche runden die Reihe ab.
Doch noch einmal kurz zurück zum Alterungsprozess: Dieser beschäftigt die Menschen tatsächlich schon seit Jahrhunderten und wird ebenso lange ins Zentrum kultureller Auseinandersetzung gestellt. Wohl eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist der Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ des irischen Schriftstellers Oscar Wilde, der 1891 erschien. Protagonist ist der junge Dorian Gray, der sich von einem Maler porträtieren lässt, sich in sein Ebenbild verliebt und daraufhin ewige Jugend und Schönheit wünscht. An seiner Stelle soll das Bildnis für ihn altern und vergehen, ein Unterfangen, wofür Gray bereit ist, seine Seele zu verpfänden. Wohin das führt, zeigen die Theater Chemnitz am Dienstag, den 14. Oktober 2025, um 19:30 Uhr im Aschaffenburger Stadttheater.
Eine weitere Art der Transformation ist sicherlich der niemals freiwillige Übergang vom gesunden zum kranken Körper. Vor kaum einer Krankheit ist die Angst so groß wie vor Krebs, diesem wuchernden, unkontrollierten Wachstum von Zellen, das jeden jederzeit treffen kann. Dank des medizinischen Fortschritts der letzten Jahre stellt eine solche Diagnose heute glücklicherweise kein zwangsläufiges Todesurteil mehr dar, was die Ausstellung „Ästhetik der Heilung“ – zu sehen vom 28. September 2025 bis zum 12. Oktober 2025 im Theaterfoyer sowie auf Bühne 3 – eindrucksvoll unter Beweis stellt. Die Grafiken von Prof. Dr. med. Veit Krenn, seines Zeichens Künstler und Pathologe, dokumentieren die Heilung anhand mikroskopisch-histologischer Schnittpräparate, die aus dem Kontext der medizinischen Diagnostik isoliert und somit ästhetisiert werden. Die Ausstellung ist Teil eines einzigartigen interdisziplinären Projekts, das Medizin, Bildende Kunst und Musik als Ausdruck menschlicher Schöpfungskraft feiert und am Sonntag, den 12. Oktober 2025 seinen Höhepunkt in einem Theaterkonzert des Collegium Musicum Aschaffenburg findet. In diesem Rahmen wird das Werk „Hymnus“ des in Aschaffenburg lebenden Komponisten Joachim F.W. Schneider uraufgeführt, ein Werk, das die bereits erwähnten Grafiken von Veit Krenn in Musik umwandelt.
Natürlich kann sich nicht nur der Körper eines Menschen krankheitsbedingt verändern, sondern auch die Psyche – mentale Gesundheit ist der Begriff der Stunde. Glücklicherweise hat sich der Umgang mit psychischen Erkrankungen in den letzten Jahren deutlich zum Positiven verändert, auch wenn wir mit Sicherheit noch nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, Betroffenen zu helfen. Was mit Patienten geschieht, die mit ihrer Erkrankung nicht nur allein gelassen, sondern gleichzeitig Gegenstand bizarrer medizinscher Experimente werden, zeigt Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“. Das Stück, dem die Geschichte rund um Johann Christian Woyzeck zugrunde liegt, der 1821 seine Geliebte in Leipzig erstach, erleben Sie am Mittwoch, den 4. März, sowie Donnerstag, den 5. März, jeweils um 19:30 Uhr in einer Inszenierung des Schauspiels Leipzig.
Die letzte Art der Transformation, die wir nicht außer Acht lassen wollen, ist der Weg jedes Einzelnen zu sich selbst, einem Selbst, das man akzeptieren und annehmen kann, wie es ist, ohne jeglichen Zwang zur Selbstoptimierung oder Veränderung. In der heutigen Zeit ist es schwer, diesen Zustand der inneren Ruhe und Gelassenheit zu erreichen, aber trotzdem sollten wir uns gerade darauf besinnen – allen bedenklichen Trends zum Trotz. Inspiration dazu, wie uns das gelingen kann, gibt vielleicht ein besonders buntes Plädoyer für Toleranz, nämlich „La Cage aux Folles“. Das Musical ist am Mittwoch, den 11. März 2026, um 19:30 Uhr in der Stadthalle am Schloss zu erleben. Einen krassen Gegenentwurf hierzu stellt „Jekyll & Hyde“ dar, vom Staatstheater Meiningen ebenfalls als Musical umgesetzt und am Mittwoch, den 14. Januar 2026, um 19:30 Uhr in der Stadthalle zu Gast. Hier werden wir Zeuge dessen, was passiert, wenn der Mensch eben nicht in der Lage dazu ist, sich selbst, vor allem aber seine Schwächen zu akzeptieren. So viel sei verraten: Ein Medikament, das die vermeintlich bösen Anteile des Anwenders abspalten soll, ist mitnichten die Lösung. Denn: keine Wirkung ohne Nebenwirkung…
Wie wichtig es ist, dass Individuen sich einer gesellschaftlichen wie politischen Gleichschaltung widersetzen, bezeugt ein wahrer Klassiker der Weltliteratur, George Orwells „1984“. Gleich zu Beginn der neuen Spielzeit, am Samstag, den 11. Oktober 2025, um 19:30 Uhr von a.gon München auf unsere Bühne gebracht. 1948 geschrieben, war der Buchtitel damals ferne, fiktive Zukunft – heute, fast acht Jahrzehnte später, ist das angsteinflößende Szenario eines Überwachungsstaates greifbare Realität in Zeiten durchsuchter privater Mobiltelefone an der Landesgrenze und propagierter „alternativer Wahrheiten“ oder „Truth Social“-Kanälen. Der Protagonist Winston Smith arbeitet im „Ministerium für Wahrheit“ und will sich nicht länger kritiklos dem totalitären Herrschaftssystem beugen und begeht als Folge ein schlimmes „Verbrechen“: Er beginnt selbstständig zu denken – einer der wohl wichtigsten Prozesse persönlicher, eigenverantwortlicher Transformation hat damit begonnen. Auf die Spitze treibt eine solche Entwicklung allerdings „Der Graf von Monte Christo“, der eine ganze Gesellschaft mit brillant-bösartiger Intelligenz verführt und schließlich in den Abgrund stürzt. Ob er mit seiner Rache zu weit geht, entscheiden Sie: am Freitag, den 30. Januar 2026, um 19:30 Uhr auf Bühne 1.